Sechs Vorschläge für eine differenzierte Regulierung von GAFA

Die Argumente der Kritiker von Google und Co sind vielfältig, sie widersprechen sich oft und wirken meist kontraproduktiv. Dies war der Tenor eines Kommentars von HORIZONT-Redakteur Roland Pimpl. Unsinn und unverantwortlich, protestiert Michael Heine, geschäftsführender Inhaber der Data-Marketing-Strategieberatung Companion: „Wir stehen am Rande eines Rückfalls in feudale Machtverhältnisse.“ Im HORIZONT-Gastkommentar fordert er eine Zerschlagung der US-Plattformen in ihre Einzelgeschäfte, notfalls eine EU-Firewall für Daten und auch Klima- und Sozialabgaben von Amazon, wegen des Lieferverkehrs und der Verödung der Innenstädte.

Der HORIZONT-Kommentar „Verpflichten – aber zu was?“ bringt die Regulierungsdiskussion nicht voran. Ganz im Gegenteil, er vernebelt und führt in die Irre. Wer Probleme nicht zutreffend beschreibt, kann sie auch nicht lösen. Als neutrale Berater für datenbasierte Strategie sehen wir in der Medien- und Werbebranche einen Mangel an Problembewusstsein. Dieser Gastkommentar ist ein Beitrag zur Diagnose, mit sechs Thesen und Vorschlägen für eine differenzierte Regulierung von GAFA. Er wurde geschrieben, bevor Facebook-Mitgründer Chris Hughes am 9. Mai in der New York Times zur Zerschlagung der eigenen Schöpfung aufrief und vertritt dieselben Positionen.

1. Zu regulieren sind mehr als nur vier GAFA-Firmen

GAFA ist ein Akronym für vier der weltweit fünf größten Internetfirmen. Die fünfte ist ein „M“, Microsoft. M ist das in den 90er-Jahren berechtigterweise so genannte „Evil Empire“. M hat mit ca. 844 Milliarden Euro aktuell fast doppelt so viel Börsenwert wie „F“ (Facebook, ca. 504 Milliarden), mehr Börsenwert als „G“ (Google, ca. 721 Milliarden) und ähnlich viel wie die beiden „A“ (Amazon, ca. 826 Milliarden; Apple, ca. 857 Milliarden Euro).

Was auffällt: Alle gaffen auf GAFA, aber niemand redet über M. Warum eigentlich? Weil M klar bessere PR macht? Nein, weil M schon vor langer Zeit durch die EU reguliert worden ist. Schon vergessen? Die EU hat die Verkoppelung zwischen Plattform (Windows) und Produkt (IE Browser) aufgebrochen. Dem Erfolg der Firma tat diese „Zerschlagung“ übrigens keinen Abbruch (gehe vor zu These 5).

2. Plattform-Oligopole von anderen Digitalgeschäften entkoppeln

Den Erfolg der GAFAs erklärt der HORIZONT-Kommentar mit „Netzwerkeffekten und Kundennutzen“. Netzwerkeffekte und Kundennutzen – im Kontext GAFA ist diese Verknüpfung unzulässig. Denn wir haben Plattform-Oligopole und keinen funktionierenden Markt. Das mögen Internet-Evangelisten, Buzzword-Missionare und andere Prediger der Silicon-Valley-Theologie bestreiten. Aber was zählen deren Argumente, wenn es um das Gemeinwohl, um Politik für alle geht? Sie kennen Verantwortung nur in Form von wirtschaftlichem Eigennutz.

„Das Datenkapital eröffnet endlos viele Möglichkeiten der gezielten Manipulation, sorry, des Targetings von Werbung, Informationen, Meinungen, Produkten, Preisen.“

Es mag für „Digital Naive“ #Neuland sein, dass in einer sozialen Marktwirtschaft die Vorteile des Betreibens von Netzwerken abgekoppelt sein müssen von weiteren Geschäftsmodellen, sobald der freie Marktzugang blockiert ist. Das ändert aber nichts. Bilden sich Oligopole, schreiten demokratisch kontrollierte Behörden ein, um einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Netzwerken / Plattformen wieder herzustellen. Das ist ihr Auftrag, das machen sie seit Jahrzehnten. Hat jemand was dagegen?

Also gut: Abzukoppeln sind die Plattformen der Oligopole für Suche (G, A), Betriebssysteme für Smartphones und Mediengeräte (G, A), Onlinewerbung (G, F), Onlinehandel (A), Kontaktpflege und Kommunikation (F). Weitere Vorschläge sind willkommen.

3. Der Wert der Daten muss im Zentrum stehen

Im HORIZONT-Kommentar werden die Daten der GAFAs als „nicht exklusiv“ bezeichnet. Es seien Daten, die User in ähnlicher Form „überall“ über sich hinterlassen könnten. Für uns als Berater für Datenstrategie ist eine solche Einschätzung irreführend und unverantwortlich. Jeder HORIZONT-Leser muss wissen, dass Datenkapital aus dem Zusammenführen und Anreichern (sic!) von Daten rund um Personenprofile entsteht. Hierbei geht es nicht nur um Kapitalbildung, sondern auch um Bürgerrechte, denn das Datenkapital eröffnet endlos viele Möglichkeiten der gezielten Manipulation, sorry, des Targetings von Werbung, Informationen, Meinungen, Produkten, Preisen. Man kann es auch für Doxing (das Offenlegen angehäufter privater Informationen) oder eine autoritäre Sanktionierung von Bürgern nutzen.

Darum sind das Zusammenführen und Anreichern (sic!) von Daten in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auch explizit zustimmungspflichtig. Wer, wie die GAFAs, so viele Personenprofile aufgebaut hat, dass er vor seinen eigenen Firewalls ein Oligopol betreiben kann, ist kaum noch angreifbar, er gehört reguliert. Wer Personenprofile erst noch aufbaut, ist noch angreifbar. Dazu müssen Instrumente der DSGVO genutzt und geschärft werden. Wenn nötig, auch mithilfe einer EU-Firewall

4. Regulierung darf „Produktqualität“ entspannt ignorieren

Der Erfolg der GAFAS hat mit „überlegenen Produkten“, wie es der HORIZONT-Kommentar nahelegt, wenig bis gar nichts zu tun. Ja, die Markteintritte von Google und Apple waren tatsächlich Erleuchtungsmomente, es gab 1996 keine Suche und 1991 kein Betriebssystem, die so einfach und problemlos waren. Aber das ist ewig her und beide, G und A, haben ihre „überlegene Produktqualität“ längst eingebüßt.

Andere als G und A waren zu keinem Zeitpunkt überlegen. Facebooks erster Geschäftsführer in Deutschland, zum Beispiel, bekam meine persönliche Datenschutz-Anwaltspost noch in seine Privatwohnung zugestellt. Denn F hatte 2008 noch gar kein Büro in Deutschland. Aber Deutschland hatte zu der Zeit schon zwei bis vier gut funktionierende Social Networks, über die wir seine Privatadresse ermittelten. Überlegen waren die Kalifornier nur in Sachen Dreistigkeit, wenn es um das Plündern von privaten Adressbüchern ging.

Überlegen waren dagegen Whatsapp, gekauft von F. Instagram, gekauft von F. War G’s nicht existierender Adserver dem von Doubleclick überlegen? Der Kartendienst von A oder G dem von Here? Der Onlineshop vom A den 100.000 anderen Onlineshops? Folgt man den Internet-Theologen, liegt der GAFA-Erfolg an singulären „Genies“, an „Stars“ wie den Herren Jobs und Bezos. Na dann. Dann muss auch irgendeines dieser Leihräder überlegen sein, die aktuell unsere Städte vermüllen. Das Nutzen dieser Räder zahlt man nicht nur mit zwei Euro, sondern via App auch mit dem Export sämtlicher Adressbuchdaten aus dem eigenen Smartphone nach China. Warum wohl? (Gehe zurück zu Punkt 3: nicht exklusive Daten)

5. Ja zur Fehlerkultur statt Angst vorm Amtsschimmel

Totalitäre Macht von Daten, so wie sie in China vorgeführt wird, entsteht aus ihrem Zusammenführen, Anreichern und Verkaufen rund um Personenprofile. Genau diese Anwendungsfälle stehen im Zentrum der DSGVO, die von den Vertretern partikularer Interessen – siehe Werbewirtschaft oder Online-Rockstars – gerne als Beispiel für kontraproduktive Regulierung angeführt wird. Und tatsächlich, in Kombination mit der ausstehenden E-Privacy-Regelung schafft die DSGVO tatsächlich Eintrittsbarrieren für kleinere Konkurrenten der GAFAs. Das ist sicher schlecht und sicher nicht beabsichtigt.

Aber soll man wegen solcher Konstruktionsschwächen etwa alles unreguliert so weiter laufen lassen, wie man sich das vielleicht in der Hamburger ABC Straße (Deutschland-Sitz von Google; d. Red.) wünscht? In wessen Interesse wäre das? Im Interesse der Allgemeinheit sicher nicht. Seit Jahrzehnten wird in der Telekommunikation, im Verkehrs-, im Energiewesen und bei Windows-Betriebssystemen reguliert – wann endlich auch im Internet, bei den GAFAs?

Ja, es stimmt, „wenn Gerichte, Behörden und Politiker über Unternehmen befinden, nutzt dies den Verbrauchern oft nicht“. Amtsschimmel erzeugen tatsächlich oft Mist. Aber eines erzeugen sie immer: Rechtssicherheit. Zu der gehört, dass man als Bürger bei Wahlen und vor Gericht auch mal dem Amtsschimmel selbst in den Hintern treten darf. Versuchen Sie das mal mit GAFA.

Ihre Schwäche gegenüber so viel unkontrollierbarer Macht haben auch die Institutionen der USA erkannt: Als Herr Zuckerberg vor 2 Jahren erstmals öffentlich mit Krawatte zu den Hearings auf dem Capitol Hill in Washington erschien, saß da ein weißhaariger Senator. Der erklärte Herrn Z, dass Regulierung immer eine schlechtere Lösung sei. Aber manchmal sei sie eben alternativlos

6.Wie soll GAFA reguliert werden?

Der Teil, der als Infrastrukturbetreiber dienen kann, muss abgespalten und als Netzwerk reguliert werden. Ein solches Netzwerk hat kein „Hausrecht“, wie es im HORIZONT-Kommentar heißt. Die Daten sind auf Gerichtsbeschluss offenzulegen, die Metadaten (Verbindungsprotokolle) dürfen nicht verwertet werden – so geht es allen Telekommunikationsfirmen. Und Steuern zahlen müssen sie, by the way, auch.

Der Teil, der als Medienhaus agiert, mag eine „Inhaltsagenda“ haben oder nicht, er hat aber immer eine verlegerische Verantwortung für alle Inhalte und muss, genauso wie Verlage, vor jedem Gericht (und nicht bei einem Dienstleister!) für Inhalte zur Verantwortung gezogen werden können. So muss es auch Facebook gehen. Und Steuern zahlen müssen Verlage, by the way, auch.

„Amtsschimmel erzeugen tatsächlich oft Mist. Aber eines erzeugen sie immer: Rechtssicherheit. “
Der Teil, der als Handelshaus agiert, zum Beispiel der Onlineshop über Amazon Web Services oder die App-Store-Wegelagerer von Apple (30 Prozent für „Qualitätskontrolle“), hat Zölle und Einkaufspreise zu zahlen, so geht es allen Handelshäusern. Und Steuern zahlen müssen Händler, by the way, auch.

Apropos Steuern: Wann kommt endlich eine E-Commerce-Abgabe für die immensen Klimaschäden, die Onlinehandel durch den Lieferverkehr, speziell für Lieferungen am selben Tag, anrichtet? Und wann gibt es eine Sozialabgabe zur Finanzierung von Maßnahmen gegen die Verödung der Innenstädte? Die leeren Ladenlokale waren ja auch mal soziale Treffpunkte.

Und wie geht es GAFA?

Gut. Bestürzend gut. Zwar sind für Deutschland weder Umsatz noch die vermutlich gegen Null tendierende Steuerlast bekannt. Bekannt ist aber zum Beispiel, dass Facebook in den USA einen Cash-Bestand von 45 Milliarden Dollar hat.

Diese Summen haben bitte wie wenige Mitarbeiter erwirtschaftet? VW: knapp 10.000 Euro Gewinn pro Mitarbeiter, Daimler knapp 35.000. Google: 170.000. Apple: 393.000. Facebook: 599.000 Euro – lupenreiner Profit. Das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg ist in Ordnung und darf niemals ein Vorwurf sein. Wir bestaunen aber andererseits eine unzureichend kontrollierte digitale Akkumulation von Kapital von astronomischem Ausmaß. Dazu „passt“, dass zwei von fünf Amerikanern keine 400 Dollar für persönliche Notfälle aufbringen.

Wer vor diesem Hintergrund die Diskussion der GAFA-Regulierung mit Begriffen wie Disruption, Transformation, Netz, User und Zensur führen will, der hat nicht verstanden, wo wir stehen: Wir stehen am Rande eines Rückfalls in feudale Machtverhältnisse. Die damit verbundene Herausbildung eines Digitaladels mit eigenen Hofnarren darf man auf der OMR und auch auf der Republica bewundern.

Also, es ist Zeit zu handeln: regulieren! Bei uns wird das dauern, denn wir sind (noch) nicht autoritär organisiert. Autokraten wie in China und Russland können schneller und entschlossener handeln. Sie nutzen dasselbe Machtpotential der Digitaltechnologie wie die GAFAs – aber für Ziele, die sich um Demokratie nicht scheren.