Was Daten verraten – wie exzellent ist Digitalmarketing?

In der Horizont findet sich heute unter der Headline „So viel verdienen Influencer pro Post“ ein interessanter Artikel. Bei genauerem Hinsehen offenbart er, wie es um die Qualität von Management und Führung im Marketing bestellt ist.

Wieviel Geld bekommen Influencer?

Es geht um eine Agentur-Studie, die das Investitionsverhalten der Marketingabteilungen in Sachen „Influencer“ ermittelt. Zur Sache Influencer vorab eine Erläuterung.

Influencer, das sind Personen, die glaubwürdiger als Medienhäuser sind, weil sie in Social Media laufend Inhalte über sich selbst veröffentlichen, von denen man nie wissen kann, ob sie authentisch sind oder nicht. Dafür erhalten Influencer mit mehr 500k Followern aus deutschen Marketingabteilungen laut Studie bis zu 38.000 EUR pro Post. Für die Klärung der Authentizitäts-Frage ist das sehr förderlich. Ja, sagen aktuelle Gerichtsurteile, das “Beeinflussen” ist eine gewerbliche und umsatzsteuerpflichtige Veranstaltung und kein Freundschaftsdienst.

Und wie steuern Digitalmarketer das Geld für Influencer?

Nun zur Sache. Interessant wird der Artikel, als es zum Thema Zahlen und Erfolgskontrolle kommt. Wir lesen:

„Im Unklaren sind sich die Marketer allerdings darüber, ob die hohen Ausgaben im Einzelfall tatsächlich angemessen sind. Laut Umfrage sind sich 77 Prozent unsicher, anhand welcher Kriterien die Höhe der Vergütung berechnet werden sollte, und 37 Prozent verfügen über keine Möglichkeit, die Auswirkung einzelner Influencer-Kampagnen auf die eigenen Umsätze zu messen.”

Ok, also 37 Prozent derjenigen, die in ihrem Unternehmen über die Möglichkeit verfügen, 38.000 Euro für einen einzigen Post zu bezahlen, sagen, sie „verfügen über keine Möglichkeit“ Auswirkungen auf die Umsätze zu messen. Kommunikation und Marketing steuern sich also by Bauchgefühl oder by Spezialwissen (Branding)? Die Formulierung legt  jedenfalls nahe, dass Digitalmarketer es nicht als ihre eigene Aufgabe ansehen, die fehlende Verknüpfung mit Absatzeffekten herzustellen. Führungsversagen?  So kann man vermuten, wenn man sich die nächsten Informationen im Artikel anschaut.

Aktuelle Einblicke in Führung und Management von Marketing und Digitalmarketing

„57 Prozent der befragten Marketer messen lediglich die Reichweite ihrer Kampagnen, 55 Prozent prüfen außerdem die Auswirkungen auf die Brand Awareness. Aber nur ein Drittel, nämlich 33 Prozent, erfasst Verkäufe, die entweder direkt oder indirekt aus den Aktivitäten der Influencer resultieren. Auch den generierten Webseiten-Traffic messen lediglich 32 Prozent“

Diese Punkte verdienen es, der Reihe nach genauer betrachtet zu werden.

“Wir messen Reichweite”. Und sonst nix?

57 Prozent messen “lediglich” die Reichweite ihrer Kampagnen – was genau kann damit gemeint sein? Ganz einfach: gar keine Messung.

Die “Messung” der Reichweite ist eine intransparente Sache der Plattform, wie z.B. Instagram. Der Zugang zu den nicht nachprüfbaren Leistungsdaten aus der hauseigenen Black Box der Plattform-Monopole ist Sache des Account-Inhabers, also des Influencers. Das einzige, was Marketer in Unternehmen in Sachen “Reichweite” (Impressions, Unique User) darum tun können, ist es, sich die Daten geben zu lassen. 6 von 10 Marketern fordern NUR das ein.

Unter den Bedingungen eines solchen nicht existenten Controllings kann ich als Influencer nun alles machen: Zahlen erfinden und für Null Leistung Geld verdienen. Ich kann auch noch um noch mehr Geld für nichts zu verdienen, indem ich mir für 3 Dollar 100 neue falsche Follower auf Instagram kaufe, Was auch immer ich an vorgetäuschter Leistung berechne, es kann niemand bemerken, weil kein Engagement gemessen wird. Auch nachgelagerte Prüfungen der Effekte auf Medienresonanz, Marke oder Absatz finden nicht statt. Das ist eine Einladung zum Betrug.

Als Marketer im Unternehmen kann ich in so einer Situation totaler Vernachlässigung ebenfalls alles machen. Ob die Zielgruppe erreicht wird, merkt niemand. Ob Influencer und Inhalt gut engagen, weil sie relevant sind, merkt niemand. Ob Wahrnehmung und Image verändert, Medienresonanz erzeugt, oder Vertriebsimpulse ausgelöst werden, all das kann niemand bemerken, es scheint nicht zu interessieren. Wie kann das sein?

Das kann man auch „Management by total blindness“ nennen. Und wer ist dafür verantwortlich? Es ist die Führungsebene in 6 von 10 deutschen Unternehmen.

” Wir messen Markenbekanntheit” – aber wie?

Nächste Zahl, bitte: 55 Prozent „prüfen“ Effekte auf Brand Awareness, also die Markenbekanntheit.

Was muss man tun, um Kampagneneffekte auf Markenbekanntheit zu messen?

  • man muss ausreichend häufig messen (mindestens monatlich)
  • man muss ausreichend granular messen (in der zu erreichenden Zielgruppe, die nicht mehr massenmedial soziodemografisch definiert wird, sondern über Interessen und andere Targeting-Merkmale)

Auch wenn es vielfältige Möglichkeiten gibt, Brand Awareness zeitgemäß und vergleichsweise kostengünstig zu messen, es kostet in jedem Fall vergleichsweise erhebliche Summen, die Marke zu messen. Denn ich komme um Befragungsprojekte  nicht herum. Die Kosten sind so groß, dass wir in unserer bisherigen Praxis kein Unternehmen mit ausreichender häufiger Messung der Marke getroffen haben. Nicht eines.

Die meisten messen, wenn überhaupt, nur einmal im Jahr ihre Marke. In einer solchen Datenbasis kann nicht einmal eine millionenschwere TV-Kampagnen zuverlässig erkannt werden. Das Erkennen rein digitaler Kampagneneffekte ist ausgeschlossen, von Influencer-Effekten gar nicht erst zu sprechen.

Das „Prüfen“ der Effekte auf Brand Awareness entpuppt sich damit als reine Schutzbehauptung. Zum Blind-Management im deutschen Marketing gesellen sich wahlweise noch hinzu: Inkompetenz oder Unaufrichtigkeit.

Ein Drittel erfasst Absatzeffekte – aber wie?

Nächste Zahl: 33 Prozent erfassen “Verkäufe, die entweder direkt oder indirekt aus den Aktivitäten der Influencer resultieren.“ Sehr gut, hier treffen wir auf offensichtlich funktionierendes Controlling. Es trifft auf ein Drittel der Unternehmen zu.

Wenn gleichzeitig aber auch nur ein Drittel der Unternehmen angibt, den durch Influencer generierten Webseiten-Traffic zu messen, was nun wirklich zu kleinen Einmaleins der Web-Analyse gehört, dann liegt die Vermutung nahe, dass die direkten oder indirekten Effekte auf Absatz in vielen Fällen gar nicht gemessen, sondern nur beobachtet werden.

Hier eine Kurve mit den Absatzzahlen, daneben eine Kurve mit den Marketingspendings, schlägt beides nach oben aus? Für einen CEO mag dieses hemdärmelige Korrelieren ausreichend sein, für das Management von Marketing und speziell Digitalmarketing ist das aber keine Grundlage. Wer ist für diesen Freifahrtschein, im Digitalmarketing Unternehmensgelder zu verschwenden, verantwortlich?

Fazit: Maximal ein Drittel der Unternehmen verfügt über eine wie auch immer geartete datenbasierte Grundlage zur Steuerung der eigenen digitalen Marketingaktivitäten. Alle anderen sind blank.  Fragen über Fragen.